Bereits 2007 hat das Bürgerhaus Wilhelmsburg Interkultur für sich als Querschnittsaufgabe über alle Fachbereiche hinweg definiert. Seitdem entwickelt das Team des Bürgerhauses kontinuierlich erfolgreiche Projekte im Stadtteil –mit Beteiligung der verschiedenen Communities und Multiplikatoren.
Autorinnen: Judy Engelhard und Bettina Kiehn
Ein Bürgerhaus ist ein Haus für alle Bürgerinnen und Bürger. In Wilhelmsburg sind das in der Mehrzahl Menschen mit Migrationshintergrund: 57 % kommen vor allem aus der Türkei, Serbien, Polen, Griechenland und Kroatien. Auf der Veddel stammen 70 % (Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig Holstein, Stand 2012) der BewohnerInnen überwiegend aus der Türkei, Südosteuropa und Schwarzafrika. Die SchülerInnen der Elbinseln haben zu 80 % bis 90 % Migrationshintergrund. Eine bedarfsgerechte Gestaltung der Arbeit eines Bürgerhauses muss also immer frei von (herkunfts-)kulturellen Barrieren sein.
Im Sinne dieser strikten Orientierung an Stadtteilbedarfen hat das Team des Bürgerhaus Wilhelmsburg bereits 2007 Interkultur als Querschnittsaufgabe über alle Fachbereiche – Musik, Literatur, Theater, Tanz, Kreatives, Raumnutzungen – hinweg definiert. Um das Ziel eines interkulturellen Bürgerhauses lebendig werden zu lassen, wurde eine Honorarstelle eingerichtet, die sich eine Bestandsaufnahme der bestehen Einrichtungen mit migrantischen Zielgruppen und migrantischen Selbstorganisationen in Wilhelmsburg als erste Aufgabe setzte.
Mit dem ersten Projekt, die „interkulturelle Messe 50 +“, stellten wir fest, dass sich eine Vielzahl von Organisationen den unterschiedlichen migrantischen Zielgruppen widmet, sie sich aber gegenseitig wenig kennen. Deshalb organisierten wir eine Plattform des Austausches, eine Messe, die als Kommunikationsmotor funktionierte.
Ein wichtiges Ziel unserer interkulturellen Arbeit in Wilhelmsburg ist es, nicht nur den Austausch von sog. Biodeutschen mit MigrantInnen mit zu organisieren, sondern auch den zwischen den migrantischen Communities. Dafür braucht es Räume und Gelegenheiten, sich zu treffen und auszutauschen.
Um hierfür sinnvolle Projekte anzustoßen, war vor allem eine Team-Erkenntnis erforderlich: Wir wissen nicht, was oder wie es sein muss. Professionell angeeignete „interkulturelle Kompetenz“ produziert nicht automatisch gelungene interkulturelle Projekte. Bedarfsgerechte Aktivitäten können wir nur gemeinsam mit den Protagonisten der diversen Communities entwickeln. Es gilt also, eine institutionelle Basis zu schaffen, auf der sich Ideen, Wünsche und Ziele in ihrer eigenen Art und Weise entwickeln können.
Nach der genannten Bestandsaufnahme war der nächste Schritt, Multiplikatoren in den einzelnen Communities zu finden und mit ihnen gemeinsam zu arbeiten. Daraus entwickelten sich nachhaltige Kooperationsprojekte. Beispiele hierfür sind die Familie Weiss und der Landesverein der Sinti, mit denen wir erfolgreich seit 6 Jahren das Elbinsel Gipsy Festival organisieren, das Elbinsel Frauenfest, das nach vier Jahren in gemeinsamer Trägerschaft unterschiedlicher Institutionen nach und nach in die Hände „ganz normaler“ Wilhelmsburgerinnen gelegt werden soll oder die Kooperation mit dem Tor-zur-Welt-Bildungszentrum, das die KinderKulturKarawane in den regelmäßigen Jahresplan integriert hat. Neben diesen Beispielen langfristiger Projekte ist die kontinuierliche Kommunikation mit unterschiedlichen Multiplikatoren und Institutionen zentraler Baustein unserer Arbeit. Für diese Kommunikation gibt es keine institutionalisierte Struktur, sie findet anlassbezogen statt. Nach Jahren des wertschätzenden, vertrauensbildenden Umgangs miteinander gibt es von allen Seiten Anstöße zum Gespräch. Wir sind sind stolz darauf, dass sich z. B. Musiker der Grup Mosaik mit uns über Schritte zur Professionalisierung beraten oder Wilhelmsburger Sinti das Bürgerhaus ganz selbstverständlich als „ihr Haus“ bezeichnen.
Auf dieser guten Basis haben wir es uns zugetraut, im Beteiligungsverfahren „Perspektiven! Miteinander planen für die Elbinseln“ 2013/2014 das Ziel zu setzen, die tatsächliche Bevölkerungsstruktur abzubilden. Indikator war hierfür nicht der diffuse „Migrationshintergrund“, sondern eine nach den Werte-Welten (Sinus-Milieus) analysierte Bewohnerschaft. Dabei war uns bewusst, dass ein Verfahren, das „gut deutsch“ gestaltet wird, beteiligungsferne Menschen, darunter auch sehr viele mit Migrationshintergrund, nicht erreicht. Mit einem Mix aus der Aktivierung vorhandener Netzwerke, Veranstaltungen, aufsuchenden Stadtteilgesprächen und klassischen Arbeitsgruppen, verbunden mit sehr gemischter Öffentlichkeitsarbeit, konnten wir unser Ziel annähernd erreichen. Das spiegelt sich auch im Ergebnis des Prozesses wieder: Jenseits klassischer Stadtplanerperspektive finden sich z. B. Impulse für einen Moscheebau, eine gute Nachbarschaft gerade wegen der vielfältigen Bevölkerung oder eine inklusive Entwicklung der Elbinseln. An diesem Beispiel hat sich einmal mehr gezeigt, dass die Projektergebnisse von besserer Qualität sind, wenn wir als tragende Institution eine gute organisatorische Basis schaffen, auf der wir mit anderen gemeinsam auf Augenhöhe agieren und zulassen, dass Dinge sich anders entwickeln,
als wir uns das ursprünglich mal gedacht haben.
Kontakt:
Stiftung Bürgerhaus Wilhelmsburg, Mengestraße 20, 21107 Hamburg, 040/75 20 17-16, , www.buewi.de