Am 13. und 14. November 2015 trafen sich über 200 Interessierte zu einer zweitägigen Fachtagung mit dem Titel „Illusion Partizipation – Zukunft Partizipation“. Eingeladen hatten die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung und die Bundeszentrale für politische Bildung.
Autorin: Kirsten Witt
Unter der Frage „(Wie) macht Kulturelle Bildung unsere Gesellschaft jugendgerecht(er)?“ stellten Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Praxis, Wissenschaft und Politik das Prinzip Partizipation auf den Prüfstand. Schnell war klar: Partizipation ist zunächst ein politisches Thema, das keinesfalls als pädagogisch verharmlost werden darf. Prof. Dr. Gerd Taube, Vorsitzender der BKJ, sagte: „Deutschland ringt derzeit um sein gesellschaftspolitisches Selbstverständnis. Das Recht auf Partizipation gilt ausnahmslos für alle Kinder und Jugendlichen, unabhängig davon, ob sie in Deutschland geboren, zugewandert oder hierhin geflohen sind. Sind wir bereit, Partizipation als handlungsleitendes Paradigma für alle Kinder und Jugendlichen nicht nur zu behaupten, sondern tatsächlich mit allen Konsequenzen Wirklichkeit werden zu lassen?“
Denn diese Verantwortung muss auch die Praxis der Kulturellen Bildung ernst nehmen, wenn sie sich „Partizipation“ als zentralen Qualitätsmaßstab auf die Fahnen schreibt. Prof. Dr. Roland Roth von DESI, dem Institut für demokratische Entwicklung und Soziale Integration, stellte klar: „In Sachen Partizipation von Kindern und Jugendlichen bewegen wir uns in einem permanenten Rechtsbruch bzw. fehlender Verbindlichkeit.“
Die Vorträge von Prof. Dr. Heiner Keupp, Ludwig-Maximilians-Universität München, und Prof. Dr. Max Fuchs, Universität Duisburg-Essen und Ehrenvorsitzender der BKJ, machten deutlich: Die Einlösung dieses Rechtes für alle Kinder und Jugendlichen ist von der Herstellung von Chancengerechtigkeit abhängig, die jedoch in unserer Gesellschaft gegenwärtig nicht existiert. Lebens- und Bildungschancen korrelieren mit sozialer Herkunft und Lebenslagen. Die Frage nach der Realisierung des Rechtes auf Partizipation ist daher eine zentrale gesellschaftspolitische Frage.
Die Debatten, Diskussionen und Vorträge der Tagung nahmen aus unterschiedlichen Perspektiven in den Blick, worin die Chancen und Potenziale künstlerischer Arbeitsformen und Kultureller Bildung liegen, um der Verantwortung für die Partizipationsrechte junger Menschen gerecht zu werden. Dabei wurde durchaus leidenschaftlich um ein Selbstverständnis gerungen im Spannungsfeld von künstlerischem Qualitätsanspruch und der Überzeugung, ohne Kompromisse Partizipation zur Grundlage machen zu wollen.
In den Debatten und auch in den praktischen Workshops wurde deutlich, dass auch wenn der aktive Umgang mit Künsten und kulturellen Ausdrucksformen, der souveräne Gebrauch von Medien sowie das experimentelle Spiel mit Rollen und Symbolwelten zweifellos unverzichtbar ist als „Grundausstattung“ für gesellschaftliche Teilhabe, Kulturelle Bildung, verstanden als Selbst-Bildungsprozess mit und in den Künsten keinesfalls als harmlose „Spielwiese“ und Ort der musischen „Begleitmusik“ im Sinne von Scheinpartizipation und Machtverschleierung missbraucht werden darf. Vielmehr muss die Praxis der Kulturellen Bildung als Ort der ernsthaften Verhandlung mit realen Konsequenzen für das alltagspraktische Handeln realisiert werden.
Die Diskussionen, ob überhaupt und wie dies gelingt, wurden sehr engagiert geführt. Die Tagung spannte den Horizont von den Potenzialen der Künste für gesellschaftliche Veränderungen über den Zusammenhang von Partizipation und Inklusion bis hin zu jugendgerechten Kommunen.
Das Konzept der Tagung war in einem beteiligungsorientierten Prozess entstanden. In mehreren „Denkwerkstätten“ mit Praktiker*innen, jugendlichen und erwachsenen, sowie BKJ-Mitglieder-Vertreter*innen und einem wissenschaftlichen Symposium wurden in der Vorbereitung relevante Fragestellungen und Erwartungen diskutiert und als Grundlage für die Planung genutzt. Ein „DENKpapier“ bündelt Thesen und Fragen dieses Prozesses und ist als Download auf der Internetseite der Tagung zu finden.
Am Ende war klar: Das Praxisfeld der Kulturellen Bildung und mit ihm der dazugehörige Fachdiskurs sind beileibe nicht fertig mit dem Thema „Partizipation“. Noch viel Umdenken und Mut wird erforderlich sein, um aus dem Anspruch Wirklichkeit werden zu lassen und für noch viel mehr Kinder und Jugendliche mit Angeboten Kultureller Bildung und kultureller Praxis eine jugendgerechte Gesellschaft zu realisieren.
Die nächste Ausgabe des Magazins KULTURELLE BILDUNG wird eine weiterdenkende Dokumentation der Tagung sein und erscheint im Juni 2016. Außerdem wird ein Buch mit einer wissenschaftlichen Reflexion des Themas in der Schriftenreihe „Kulturelle Bildung“ im kopaed Verlag erscheinen.
Zehn Thesen zur Partizipation
Als inhaltliche Vorbereitung auf die Tagung wurden von der BKJ zehn Thesen formuliert:
- Partizipation ist im Feld der Kulturellen Bildung ein infla-tionärer Begriff, der in Hinsicht auf Ziele und Umsetzung diffus bleibt.
- Partizipation hat in der Praxis der Kulturellen Bildung stets einen Doppelcharakter von sozialer und politischer
- Partizipation. Beide Dimensionen stehen im Zusammenhang und bedingen sich gegenseitig.
- Partizipation ist gesetzlich verbrieftes Recht von Kindern und Jugendlichen. Wir sind verpflichtet, sie umzusetzen.
- Die Frage nach Partizipation ist eine Machtfrage. Daher ist Partizipation zunächst ein politisches Thema und erst in zweiter Hinsicht ein pädagogisches.
- Partizipation ist freiwillig. Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Nicht-Beteiligung.
- Partizipation kann als Strategie des Machterhalts gebraucht werden und in ihr Gegenteil verkehrt werden.
- Partizipation braucht Ressourcen.
- Partizipation und Teilhabe gehören zusammen.
- Partizipation und Inklusion gehören zusammen.
- Kulturelle Bildungspraxis ist für das Einlösen des Partizipationsanspruchs von Kindern und Jugendlichen wertvoll.
Dieses Potential kann noch stärker genutzt werden.
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