Ende Mai hielt Eleonore Hefner, Geschäftsführerin vom Kultur Rhein-Neckar e.V. und Vorstandsmitglied der Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren, das Eröffnungsstatement zur Tagung „Mehr als willkommen! Kulturarbeit mit, für und von Geflüchtete(n)“ und zeigte sehr überzeugend auf, was soziokulturelle Arbeit in der aktuellen gesellschaftlichen Situation vermag – und was nicht. Das stadtkultur magazin veröffentlicht den Vortrag in gekürzter Form.
Autorin: Eleonore Hefner
Die „Willkommenskultur“ und das MEHR als das schlichte Willkommen sind so real wie die rechtsradikalen Abwehr-Aktionen, die Radikalisierung und der oft unterschätzte rechte Terror. Neben Abwehr und Ausgrenzung gibt es eine hilfsbereite und „flüchtlingsfreundliche“ gastfreundliche Zivilgesellschaft, die auf das Elend in Syrien und die toten Flüchtlinge im Mittelmeer nicht mit Abwehr sondern mit Mitgefühl reagiert.
Und vielen ist klar: Es geht nicht alleine um ein pures Willkommen. Es geht auch nicht nur um eine längerfristige Begleitung der Geflohenen. Es geht viel mehr um einen neuen gesellschaftlichen Zukunftsentwurf – um die Gestaltung eines „neuen Deutschlands“. „Mehr als Willkommen“ heißt also auch, dass alle Mitglieder dieser neuen deutschen Gesellschaft – die Neuen und die Alt-Eingesessenen – gemeint sind. Auch die, die bei Pegida mitmarschieren.
Wo ist dabei der Platz und was ist die Rolle der soziokulturellen Zentren? Was ist ihre Aufgabe? Welche Kompetenzen hat die Soziokultur und wie ist sie gefordert? Zunächst sind es freilich die Grenzen der Kompetenzen, die gewichtig sind: Wir haben nicht die Macht, Grenzen zu öffnen oder auch nur Wartezeiten zu verkürzen. Wir können keine Wohnungsnot beenden und auch bei der Suche nach einer Arbeitsstelle können wir nur im Einzelfall helfen.
Ist es überhaupt richtig, Menschen für Kultur gewinnen zu wollen, die eigentlich existenziellere Sorgen haben? Die sich um ihre Familien sorgen, die im Krieg bleiben mussten? Sorgen um Bleibe-Perspektiven, Sorgen um ihre Zukunft und die Zukunft ihrer Kinder?
In der letzten Ausgabe der Zeitschrift SOZIOKULTUR der Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren wurden unter dem Titel „Fluchtpunkte“ Perspektiven des Themenkomplex „Kulturarbeit mit Flüchtlingen“ dargestellt. Viele Beispiele aus den Zentren quer durch die Republik zeigten, was soziokulturelle Arbeit vermag. Geflohene, die an soziokulturellen Projekten teilnehmen, berichten, wie es ihnen diese Projekte ermöglichen, sich auszudrücken und auszutauschen. Erfahrungen werden künstlerisch umgesetzt. In Kunst- und Kulturprojekten kann man Heimat finden und sich mit ihnen in der neuen Umgebung orientieren. Es finden verschiedenste Integrationsprozesse statt und viele dieser Projekte schaffen einen Rahmen für Dialoge mit Einheimischen. Bei vielen Projektberichten werden auch Probleme benannt, ein vorsichtiges Herantasten ist spürbar – aber auch ein Vertrauen in die Möglichkeiten, die sich aus gewachsenen soziokulturellen Kompetenzen eröffnen.
Neue interkulturelle Kompetenzen wurden entwickelt und ein Erfahrungsschatz aus zahlreichen Projekten kann für die aktuelle Herausforderung genutzt werden. Soziokulturelle Arbeit vermittelt zwischen gesellschaftlichen Gruppen. Diversity Management gehört zu ihren Kernkompetenzen. Für die Soziokultur zählt mehr als nur Audience Development: Sie setzt auf Audience Empowerment, ihr ist daran gelegen, aus der Haltung des Kümmerers heraus an der Entwicklung von Kollaborationen aller Beteiligten zu arbeiten (Mark Terkessidis). Die Soziokultur kann in Deutschland darauf bauen, dass fast die Hälfte der soziokulturellen Zentren bereits vor Jahren interkulturelle Arbeit zu einem ihrer Schwerpunkte gemacht haben.
Die Soziokulturelle Arbeit zeigt auch in der aktuellen gesellschaftlichen Situation, dass eine ihrer Stärken darin liegt, dass sie mehr als nur klassische Aufklärungsarbeit leistet. Jenseits reiner und oft vergeblicher Belehrung vermag die Soziokultur mit künstlerischen Methoden, kognitives Erkennen mit emotionalem Erleben zu verbinden. So schaffen soziokulturelle Projekte kollektive und persönliche Erlebnisse, die Kontakte zwischen Neu-Ankommenden und Alt-Eingesessenen entstehen lassen.
Die Akteure und Zentren der Soziokultur sind gut verankert und können zwischen verschiedenen Gruppen Verbindungen herstellen und Möglichkeiten bieten, sich auseinander zu setzten – auch gegensätzliche Sichtweisen auszuloten. Soziokulturelle Projekte sind nicht an Selbstbestätigung sondern an Auseinandersetzung orientiert. […]
Freilich gibt es besondere Herausforderungen in der Kulturarbeit mit Geflüchteten – oder korrekter ausgedrückt – in der Kulturarbeit für eine „neue“ Gesellschaft. Bei den anstehenden Aufgaben handelt es sich nicht lediglich um eine quantitative Zunahme an notwendiger Arbeit. Auch wenn Zuwanderung unsere Arbeit schon lange prägt, stellt die aktuelle Zuwanderung ihre eigenen spezifischen Anforderungen – auch weil dies eine Zukunftsaufgabe bleiben wird.
Um nur einige Aspekte zu erwähnen, die es zu bewältigen gilt: Neben der Sprachproblematik gilt es der Tatsache gerecht zu werden, dass Geflüchtete keine homogene Gruppe bilden. Der besondere Hilfebedarf bei Kriegs- oder Fluchttrauma bedarf Kompetenzen, die in den Zentren nur im Ausnahmefall vorhanden sind. Fortbildungen und der Aufbau neuer Netze sind notwendig. Es muss mit Überforderungssituationen von professionellen Helfern und Ehrenamtlichen umgegangen werden. Die Zusammenarbeit mit ehrenamtlichen Helfern kann nicht en passant erfolgen.
Wenn zur Zielgruppe der Arbeit auch eine aufgebrachte – zum Teil sogar bedrohliche – Öffentlichkeit zählt, ist eine besonders sensible, adäquate Öffentlichkeitsarbeit notwendig.
Und dies alles mit „Bordmitteln“? Soziokulturelle Zentren arbeiten oft mit knappen Ressourcen und unsicherer Grund-förderung. Zu Gelingensbedingungen gehören sichere und ausreichende Ressourcen, institutionelle und gesicherte Finanzierung der personellen und sachlichen Struktur der Zentren sowie verlässliche und feste Verantwortlichkeiten und Ansprechpartner. Die kontinuierliche Förderung transkultureller Kompetenz ist ebenso notwendig wie psychologische, pädagogische und rechtliche Begleitung. Es muss Ressourcen für die notwendige Vernetzung der örtlichen Akteure, Verbände und Experten geben. Und auch wenn es sich wie ein Mantra anhört, muss man es unterstreichen: Die Förderstrukturen müssen sich der prozessorientierten Arbeit anpassen, die in den Zentren geschieht, und der lange versprochene Bürokratieabbau muss Wirklichkeit werden.
Der Einsatz lohnt sich, geht es doch um weit mehr als um Geld. In den soziokulturellen Zentren ist Multikulturalität Alltag. Hier wird das Fundament unserer neuen, unserer zukünftigen Gesellschaft errichtet.
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