Alles im Fluss

Stress, Freude, Entmutigung, Zuversicht: Für die LOLA und das KIKU ist das Jahr 2020 ein emotionales Wechselbad. Das liegt auch an einem Phänomen, das LOLA-Geschäftsführerin Ortrud Schwirz mit einem einzigen Wort auf den Punkt bringt: Verordnungsvielfalt.

AUTORIN: ORTRUD SCHWIRZ

Das erste LOLA-Chor-Video, Foto: Petra Niemeyer

Wenn ich Kolleg*innen in der LOLA und im KIKU derzeit nach ihren Wünschen frage, höre ich immer wieder: „Mehr Planungssicherheit! Endlich wieder verlässliche Rahmenbedingungen!“ Nur nicht von heute auf morgen wieder alles umschmeißen müssen.

Kurzer Rückblick: Öffnungsszenario

Eigentlich sollten die Corona-Verordnungen im 14 Tage-Takt erfolgen, jeweils angepasst ans aktuelle Infektionsgeschehen. Im Rahmen der Lockerungen geht aber alles plötzlich viel schneller. Der Druck auf die Politik scheint groß, ein Eindruck von Überstürztheit macht sich breit.

Am härtesten trifft es Andreas, den Pächter der LOLA Bar. Er ist gerade beim Abschleifen des Fußbodens, als ihn ein Stammgast anruft: man könne sich ja glücklicherweise morgen wieder in der LOLA Bar treffen. Viele Gäste haben Andreas in der bitteren Auszeit im Lockdown unterstützt. Er will sie nicht enttäuschen. Er wird die ganze Nacht durcharbeiten.

Stress also ist das erste Symptom der Öffnung. Das Hygieneschutzkonzept muss schnellstens erstellt und kommuniziert werden: Logistik, Ein- und Ausgänge, Sanitärbetrieb, Gruppenräume ausgemessen, Markierungen gelegt, Gruppen und Kurse identifiziert, Verordnungen in ihren Auslegungen geprüft werden.

Stress auch im Team. Die einen wollen gleich möglichst viel stattfinden lassen. Wo ist das Problem? Die anderen wollen Zeit zum Nachdenken: das neue arbeitsintensiv entstandene Hygienekonzept erst langsam ausprobieren. Alles planen, durchrechnen, durchorganisieren, mit dem Gesundheitsamt abstimmen. Die in gegenseitiger Wahrnehmung überängstlich Vorsichtigen und die bedenkenlos Vorpreschenden – diese beiden Typen Mensch verstehen sich jetzt weniger denn je.

Neben Stress natürlich allseits große Freude: erwartungsfrohe Chöre, Künstler*innen, LOLA-Ensembles, Selbsthilfegruppen, Kurse, Parteien. Menschen sind soziale Wesen. Das ist der Beweis. Mit den Abstandsregeln können wir nur einen Bruchteil umsetzen. Ins Haus kommt man nur angemeldet. Wir wollen doch ein vitales Haus. Nun muss man sich freuen, dass überhaupt wieder ein paar Gäste durchs Haus schleichen. Ein Anflug von Entmutigung.

LOLA-Programm unter Corona

Foto: Petra Niemeyer

Im Rahmen des Online-Festivals „Bühne frei – live dabei“ der Bergedorfer Zeitung konnte bereits Anfang April das erste Konzert live aus der LOLA gestreamt werden. Inzwischen sind bereits einige Konzerte zusammen gekommen. Ein seltsames Gefühl, dort im vereinsamten Saal zu stehen, umgeben von all dem technischen Aufwand für das Streaming. Ist das jetzt die Zukunft unseres Live-Programms?

Inzwischen gibt es auch wieder Analoges: ein Swing-Picknick mit Livemusik outdoor im Park, Alma Hoppe kommt zur Vorpremiere ihres neuen Corona-Programms, Impro-Theater, erste kleine Konzerte. Das ist alles aufwändig. Die Verordnungsvielfalt ist eine Wissenschaft für sich: Konzerte, Theater, Kurse, private Feiern, draußen, drinnen. Alles muss immer wieder neu erkundet und bewertet werden. Und wie sich das auf längere Sicht wirtschaftlich rechnen soll, weiß der Kuckuck.

In unseren Saal passen nach den geltenden Regeln ca. 40 Zuschauer*innen. Viel Aufwand wird also getrieben für wenig Menschen. Aber wie sagte Camus? „Man muss sich Sisyphus als einen glücklichen Menschen vorstellen.“

Kameraschwenk ins viel kleinere KIKU: Auch dort gibt es neben den digitalen Angeboten wie Radiosendungen, Skypekonferenzen mit den Kindern oder digitalen Lese- und Schreibformaten schon seit Anfang Juni wieder analoge Angebote: Der Leseclub tagt neben Skype-Sitzungen wieder vier Mal wöchentlich analog. Unsere Fortbildungen laufen zweigleisig: seit Juni wieder analog am Landesinstitut und bei anderen Trägern, als Webinare in den internationalen Kooperationen.

Und die Zukunft?

Wir alle werden wohl noch auf längere Sicht zweigleisig fahren müssen. Im Digitalen ist noch viel Luft nach oben: Streaming, Facebook, Instagram, Videos, Videokonferenzen, Webinare – das wirklich Neue muss daraus noch erwachsen. Es gilt, niedrigschwellige digitale Formate, vor allem Beteiligungsformate zu entwickeln. Wie nimmt man die mit, die sich dabei schwerer tun? Vor allem unser Publikum liebt es ja analog. Darüber möchte ich mit euch nachdenken.

Und der Traum von offenen Türen, freien Zugängen, Austausch, Begegnung? Es ist unrealistisch, dass auf absehbare Zeit alles wird, wie es mal war. Diese Vorstellung ist im Übrigen ohnehin eine Illusion. Alles ist immer im Fluss. Wir haben aber immerhin die Chance, vielleicht sogar die Pflicht, den „Flusslauf“ mit zu gestalten. Dafür lohnt sich der Aufwand.

Ortrud Schwirz
Ortrud Schwirz

ist Geschäftsführerin des LOLA Kulturzentrums und KIKU Kinderkulturhauses. Die Literatur- und Sprachwissenschaftlerin hat als Bildungsmanagerin im Auftrag der Behörde für Schule und Berufsbildung und als Prozessbegleiterin der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung gearbeitet.

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