Wenn die Musikszene zum Sozialfall wird

Für viele Musiker*innen ist die momentane Situation zermürbend. Zwei Dinge sind aus Sicht der Geschäftsführerin des Vereins RockCity Andrea Rothaug jetzt wichtig: Die bestehenden Strukturen in der Musikförderung zu sichern und den Kulturbruch in der Musikstadt Hamburg abfangen.

AUTORIN: ANDREA ROTHAUG

Team RockCity und alle Preisträger*innen Hamburg Music Award Krach + Getöse 2020, Foto: Alexander Schliephake

Ja, es hätte viel schlimmer kommen können und wir sind den Verbänden und der Politik sehr dankbar, dass es die staatlichen Bemühungen zur Förderung der Kultur- und Kreativbranche in COVID-19-Zeiten gibt. Soforthilfen, NEUSTART KULTUR, vereinfachter Zugang zur Grundsicherung, Corona Recovery Fonds sind da und weitere Förderungen sind geplant. Doch die Förderungen greifen nicht ausreichend durch. Die Realität, die sich im Office eines lokalen Dachverbands der Musikszenen wie RockCity oder den Music Women Germany widerspiegelt, ist angesichts der Krise zermürbend.

Wir machen uns Sorgen, denn nach sechs Monaten Corona fehlt auch in Hamburg eine berufliche Perspektive, damit Künstler*innen selbständig arbeiten, damit Familien wieder selbst ihre Miete zahlen, Kreative wieder Musik erfinden, aufführen und verkaufen können. Aktuell verlieren wir langjährig gewachsene Strukturen, denn die Hilfen kommen in der heterogenen Kultur- und Musikszene vielerorts nicht an.

Zwei Dinge sind jetzt wichtig: Unsere bestehenden Strukturen in der Musikförderung müssen gesichert und denjenigen, die die Musikszene künstlerisch mitgestalten, muss geholfen werden. Wir dürfen die Künstler*innen nicht allein lassen in einer Realität, die sie in soziale und mentale Not versetzt und sogar zu Sozialhilfeempfänger*innen macht.

Das gilt insbesondere für Alleinerziehende, für Frauen, für Sidemusiker*innen, für den musikalischen Nachwuchs, für semiprofessionelle Musiker*innen und sogar Berufsmusiker*innen, wie auch für DJs, Booker*innen, Managements, die oft gar nicht zu den Kreativen gezählt werden. Ihnen allen ist gemein: ohne Arbeit – keine Betriebsausgaben. Ohne Betriebsausgaben – keine Förderung, denn für den Lebensunterhalt gibt es kein Geld, und der kann aktuell nicht aus eigener Leistung bestritten werden. Auch der vereinfachte Zugang zur Grundsicherung ist vielerorts ein Feigenblatt. Die Anträge bleiben komplex, Rückforderungen laufen bereits und die Förderung schafft Abhängigkeiten, die keine*r will.

Deshalb brauchen einen maßgeschneiderten Support, der greift und auf die heterogene, soloselbständige Musikszene passt. Ein Modul könnte z.B. der kommende Hamburger Gagenfonds von RockCity und der BKM in Hamburg sein, der selbständigen Musiker*innen im Live-Geschäft finanziell rückwirkend zum 13. März 2020 unterstützt.

Doch wir brauchen mehr: z.B. neue Spielorte, lokale Stipendien, Innovations-Fonds, aber auch neue Ideen und Allianzen, die den soloselbständigen Musikmachenden unbürokratisch, direkt und langfristig helfen und den Kulturbruch in der Musikstadt Hamburg abfangen.

Andrea Rothaug
Andrea Rothaug

ist Geschäftsführerin von RockCity Hamburg e.V. und Präsidentin des Bundesverband Popularmusik e.V.. Sie ist Gründerin der Music Women Germany, Mitbegründerin des Clubkombinat Hamburg e.V. und der LIVEKOMM e.V., der Interessengemeinschaft Hamburger Musikwirtschaft e.V., des Live-Musik-Fonds Hamburg, des Hamburg hoch 11 e.V. und des musicHHwomen Networks.


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