OFF. ON. Lockdown und wieder hochfahren. Kultur(arbeit) offline und online und deren Mix. Alles drin im Ratschlag 2020 und online. Im März 2020 musste die Hamburger Stadtteilkultur ihre Häuser schließen: OFF. Keine Kultur und keine Begegnung vor Ort. Homeoffice. Kurzarbeit. Nach dem ersten Corona-Schock wurden dann erste neue pandemietaugliche Formate entwickelt und ausprobiert. Ab Mitte August fuhr die Stadtteilkultur langsam die Kultur vor Ort mit Hygienekonzepten und Abstand wieder hoch. Und dann erlebten alle einen „Lockdown light“, bei dem Veranstaltungen mit „Unterhaltungscharakter“ untersagt wurden.
Autorin: Corinne Eichner
Sorgen und Zuversicht über die Situation der Stadtteilkultur in Corona-Zeiten hielten sich bei den Teilnehmenden des diesjährigen Ratschlages die Waage: Bei einer entsprechenden Abfrage während einer Session äußerten 40 Prozent wachsende Sorgen durch den zweiten Lockdown, ebenso viele gaben an, ihre Haltung habe sich nicht verändert.
Doch neben Lockdown, Sorgen und großen Einschränkungen hat die Corona-Krise auch einen Schub der Digitalisierung für die Soziokultur gebracht und einen kreativen Prozess des Ausprobierens und Austestens vorangetrieben.
Aber wieviel Digitalität braucht und verträgt die Stadtteilkultur? Liegen ihre Stärken nicht eigentlich im Analogen und in der persönlichen Begegnung vor Ort – mit gemeinsamem Singen, physischer Nähe und körperlichem Einsatz, persönlichem Kontakt und ganz nah dran? Seit der ersten Corona-Welle ist dies alles nicht mehr wie gewohnt möglich, Abstand ist angesagt. Könnte Digitalität Begegnung, Austausch und Diskurs unterstützen?
Natürlich war und ist die Stadtteilkultur nie komplett ausgeschaltet gewesen: Nach dem ersten Corona-Schock wurden überall in den Stadtteilen neue pandemietaugliche Formate entwickelt und ausprobiert – online wie offline: Live-Streaming, Podcasts, Blogs und Online-Kurse waren dabei, aber auch „Schwarze Bretter“ im Stadtteil, Postkarten-Aktionen und Aufführungen im Hinterhof – solange die sich ändernden Verordnungen dies zuließen.
Die Hamburger Stadtteilkultur entwickelt seit einigen Jahren unterschiedliche Digitalisierungsstrategien. Im „Homeoffice“ machte die Arbeit in der Stadtteilkultur einen digitalen Entwicklungssprung: Videokonferenzen, Cloud-Lösungen und Kollaborationsplattformen gehören jetzt zur selbstverständlichen Arbeitsumgebung der Stadtteilkultur.
Mit dem 21. Hamburger Ratschlag Stadtteilkultur sollten eine Zwischenbilanz gezogen werden und Perspektiven für die Zukunft der Stadtteilkultur und für einen möglichen neuen Lockdown in der Kultur gewonnen werden:
- Was hat sich geändert im ersten Lockdown? Was haben wir gelernt? Was ist auf der Strecke geblieben? Wie steht die Stadtteilkultur dem aktuellen Lockdown gegenüber?
- Wie passen Digitalität und Identität der Stadtteilkultur zusammen?
- Wie funktionieren die neuen Formen der Arbeit in der Stadtteilkultur?
- Wo liegen die Stärken von digitalen Anwendungen und Formaten und wie setzt man sie am besten ein?
Im Mittelpunkt des Ratschlag 2020 standen nach einer intensiven Reflexion der Situation und ihrer Potentiale die Möglichkeiten, wie die Digitalität der Stadtteilkultur helfen kann, konstruktiv mit der Krise umzugehen und ein gewisses Maß an Resilienz auch für die Zukunft zu erreichen. Denn gerade in der Krise müssen kulturelle Einrichtungen und Orte der Begegnung gestärkt werden.
Der Ratschlag fand in diesem Jahr erstmals vollständig digital statt. Das ist auch der Pandemie geschuldet, wurde jedoch in jeder Hinsicht dem Thema der Tagung gerecht.
Der Ratschlag hat sich mit New Work, Live-Streaming, Podcasts, Kollaborationsplattformen und der Monetarisierung digitaler Angebote auseinandergesetzt. Erfahrungen zu guten digitalen und digital/analogen Kulturangeboten wurden ausgetauscht und gute Beispiele auch aus anderen Bundesländern vorgestellt. Die Dokumentation der Sessions lesen Sie in dieser Ausgabe des stadtkultur magazins.
Die Stadtteilkultur und Soziokultur haben eine besondere Verantwortung in dieser Krise. Während die meisten anderen Kultureinrichtungen geschlossen sind, darf die Stadtteilkultur in Grenzen und unter strengen Auflagen offenbleiben. Die Akteur*innen sind sich des hohen Vertrauens in ihr Verantwortungsbewusstsein bewusst und wollen gleichzeitig die Chance nutzen.
Einer der von den Teilnehmenden geäußerten Wünsche während der virtuellen Tagung war entsprechend ein „Abenteuerfonds“, der den Einsatz von Zeit und Geld ermöglicht, um neue experimentelle Formate zu entwickeln: Formate, die über das reine Verpflanzen vom Analogen ins Digitale hinausgehen und die agilen Formen der Zusammenarbeit für die Zukunft erproben. Was die Stadtteilkultur mitbringen muss, um sich nachhaltig resilient aufzustellen, ist neben dem Mut zum Experiment auch der Mut zum Scheitern. Wenn wir dieses Wagnis eingehen, kann die Stadtteilkultur in der Krise nicht nur an Resilienz, sondern auch an Relevanz gewinnen und damit ihren wichtigen Beitrag für den gesellschaftlichen Zusammenhalt noch vergrößern.