Die Rede vom gesellschaftlichen Zusammenhalt hat seit mehreren Jahren Hochkonjunktur. Die Sorge um den Zusammenhalt bzw. das Verhindern von Spaltung wird von Projekten in der Soziokultur häufig selbst als angestrebtes Ziel beschrieben oder von außen erwartet. Doch was genau ist eigentlich in der künstlerischen Praxis leistbar und wie verhält sich das Bild des Zusammenhalts mit dem gleichzeitig gestellten Anspruch von kultureller Vielfalt, fragt sich die Zinnschmelze.
Autorin: Sonja Engler
„Zusammenhalt“ als positiv besetzter Begriff assoziiert Stabilität, Verbindung und Einmütigkeit. Im Kulturbetrieb kennt man solche Momente, wenn ein Mitmachprojekt begeisterte Teilnehmende findet, in einer Jamsession der Funke überspringt, wenn zwischen Künstler*innen und Publikum ein Dialog entsteht. Die Notwendigkeit solch stärkender Erfahrungen, sinnlichem Erleben und geteilten Emotionen im kulturellen Miteinander ist in den vergangenen Monaten der erzwungenen Distanz noch einmal sehr deutlich und deren existenzielle Dimension bewusst geworden.
Die spannende Frage ist, ob die Erlebnisse ausreichen, um eine Verbesserung des Zusammenhalts im politischen oder soziologischen Sinn zu bewirken, bzw. welche Aktivitäten dafür zusätzlich nötig wären? Wann entfaltet sich ein „individueller Glücksmoment“ zu einer gesellschaftlichen Wirkung? Wie kombinieren wir das Bedürfnis nach Zugehörigkeit mit irritierenden Erfahrungen von Fremdheit? Wie erreichen wir in Programmgestaltung und Projektkonzeption die Überwindung von Distanzierung, Auseinanderdriften von sozialen Gruppen bis hin zur Ablehnung?
Die Zinnschmelze versucht, hierzu auf verschiedenen Wegen beizutragen. Das Haus soll für Menschen mit weit auseinander liegenden Neigungen und diversen kulturellen Vorerfahrungen ein Ort zum Anknüpfen sein. Dafür gibt es diverse Formate, von Einzelveranstaltung bis Langzeitprojekt, vom kreativen Mitmachen bis zum diskursiven Austausch. Manchmal stehen die Programme nur nebeneinander, doch auch hier sind zufällige, ungeplante Begegnungen diverser Milieus möglich. Meist aber sind die Ziele weiter gesteckt. Beim Feierabendsingen treffen Generationen aufeinander, die Welcome Music Session führt Musiker*innen und musikalische Stile zusammen, es entstehen neue Arrangements globaler Musik und im besten Fall neue Bands. In Kooperations-Projekten wie „Hummustopia“ oder „Empathiemobil“ sind Streitkultur und Perspektivenwechsel der jeweilige Ausgangspunkt für die Projektidee, sie bilden auch den konzeptionellen roten Faden für die künstlerische Umsetzung und die Möglichkeiten der niedrigschwelligen Begegnung.
Bei „Hummustopia“ geht es z.B. um „lecker streiten“, hier ist der gemeinsame Genuss einer nährenden Speise – nämlich Hummus – die Grundlage für konstruktive Auseinandersetzungen zu strittigen gesellschaftlichen Fragen. Das Ziel ist, mindestens eine Aussage zu finden, der beide Teilnehmenden zustimmen können. Zentral bei diesem Projekt sind außerdem seine Mobilität und die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen. So haben die jüngsten Termine auf dem Stadtteilfest Mümmelmannsberg, mit dem Welcome Dinner im Stadtpark oder mit der Bücherhalle in Barmbek stattgefunden.
Der Soziologe Andreas Reckwitz äußert sich skeptisch gegenüber dem Harmonieversprechen, das in Forderungen nach gesellschaftlichem Zusammenhalt und Gemeinschaftlichkeit liegt. Dahinter stehe das Ideal einer homogenen Gesellschaft, das zu unserer vielfältigen Gegenwart erstens nicht passt, zweitens nicht erstrebenswert ist und drittens gefährlich gewendet werden kann, z.B. im populistischen oder radikalen nationalistischen Diskurs. Statt nach Einheit, Ganzheit und Geschloss-heit zu streben, schlägt er die Idee des Gemeinsinns vor. (Süddeutsche Zeitung, 29. Juni 2020)
Wege aus den Krisen und Schritte für gemeinsame Anliegen zu finden, war Auslöser der Reihe „HaLT! In Zeiten der Erschütterung“. Der gleichnamige Podcast geht von den drängenden Themen der Zeit aus und sucht nach Zukunftsimpulsen und Lösungsideen, für die die Zinnschmelze als Kultureinrichtung ein Ort der Verhandlung sein will. Netzwerke und Kollaborationen sind in der Arbeit des gesamten Teams tief verankert. Künftig wird es umso mehr darum gehen, verschiedene Menschen und Fachgebiete, vielfältige Künste und heterogene Organisationen zusammenzubringen. Die Klimakrise, struktureller Rassismus in Deutschland, Verteilung von Teilhabechancen und soziale (Un-)Gerechtigkeit werfen Fragen auf, die nicht allein von staatlichen Stellen, geschweige denn von der Kunst gelöst werden könnten.
Fachwissen teilen, Methodenvielfalt praktizieren, aktivistische, künstlerische und politische Perspektiven zusammenführen – die Programmatik der Soziokultur bietet hierfür gute Voraussetzungen.
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