„HaLT! In Zeiten der Erschütterung.“ So nannte die Zinnschmelze zu Beginn der Corona-Pandemie eine Projektreihe mit Podcasts und Veranstaltungen. Heute erschüttert uns das nächste Groß-Krisen-Thema, dominiert die Medien und die politischen Auseinandersetzungen. Was macht der Krieg in der Ukraine mit uns in der lokalen Kulturarbeit? fragt die Geschäftsführerin der Zinnschmelze Sonja Engler in ihrem Beitrag.
Autorin: Sonja Engler
Wie in den Jahren zuvor, reagiert die Stadtteilkultur schnell mit Hilfen und solidarischen Aktionen für Geflüchtete, mit Öffnung der Häuser, beschleunigten Netzwerken und neuen Projektideen. In der Zinnschmelze gab es wie an vielen anderen Orten ein Benefizkonzert mit ukrainisch- und russischstämmigen Musiker*innen, Veranstaltungen der Welcome Music Session haben stattgefunden und es wurden Kontakte aufgenommen, aus denen noch Projekte entstehen werden. Noch relativ wenig Platz hat in der Stadtteilkultur aber das Nachdenken darüber gefunden, was der Krieg in der Ukraine für uns in der Zivilgesellschaft verändert.
Wie betroffen sind wir – von menschlicher Empathie und steigenden Energiepreisen abgesehen? Was bedeutet Solidarität? Wie verändert der Krieg die Agenda zur Klimakrise? Warum sind Flüchtlinge erst neuerdings „Schutzsuchende“? Was steht eigentlich hinter der Argumentation, in der Ukraine werden „europäische Werte“ verteidigt und darum gebe es eine moralische Verpflichtung zur Unterstützung auch mit Waffenlieferungen?
Ich habe keine klare Haltung, ich habe eine Menge Fragen und sehe sehr viele Dilemmata. Wie kann – wie sollte – eine künftige Friedenspolitik aussehen, die auf globaler Gerechtigkeit gründet? Die anerkennt, dass die europäische Aufklärung nicht automatisch für eine freie, egalitäre und solidarische Welt gesorgt hat, sondern im Gegenteil unter dem Schild europäischer Werte Kolonialismus, Rassismus und Ausbeutung von Menschen wie von natürlichen Ressourcen stattgefunden haben. Welche politischen und welche menschlichen Haltungen braucht es, um einem Denken in Kategorien von nationaler Identität und der Einteilung der Welt in – wirtschaftliche – Machtsphären etwas entgegenzusetzen? Und welche Rolle kann lokale Kultur hierbei spielen?
Die Soziokultur ist immer auch Debattenraum gewesen, ein leicht zugänglicher Ort, an dem konstruktiver Streit und erkenntnisbringende Auseinandersetzungen unter Anwesenden stattfinden können. Ich wünsche mir, dieses zivilgesellschaftliche Potenzial mit den Kolleg*innen und in Kooperation mit anderen Akteuren wirksam werden zu lassen. Eine Diskussionsveranstaltung, in der einige der oberen Fragen Eingang finden werden, ist gemeinsam mit Kolleg*innen aus dem Verband STADTKULTUR geplant und soll nach den Sommerferien stattfinden. Ich hoffe, wir sehen uns.
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