Gemeinsame Verantwortung für lokale Lebensqualität

Bürger*innen, Stadtteileinrichtungen und Behörden treffen immer wieder Entscheidungen, die sich auf die Lebensqualität vor Ort auswirken. Wo sich die jeweiligen Verantwortungs- bereiche berühren, tragen Transparenz und gegenseitige Wertschätzung zu konstruktiven Lösungen bei. Dr. Michael Freitag leitet die Stabsstelle Beteiligung und Bürgerhäuser der Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke. Zu seinen Aufgaben zählen unter anderem die Beratung und Fortbildung von Mitarbeiter*innen der Bezirksämter sowie die Weiterentwicklung von Beteiligungsmethoden. Er schreibt für das stadtkultur magazin über das Thema Bürger*innenbeteiligung aus Behördensicht.

Autor: Dr. Michael Freitag

Dr. Michael Freitag beim Aufbau eines Bezirks-modells für einen Beteiligungsprozess, Foto: Bezirksamt Eimsbüttel / Asmus Henkel

Älteren Nachbar*innen die schweren Einkäufe ins Haus ­tragen, sich gegenseitig bei der Kinderbetreuung helfen oder sogar ein Auto teilen – es gibt vieles, das Bürger*innen für eine gute Nachbarschaft und lokale Lebensqualität tun können, ohne dass es dazu einer Mitwirkung und noch nicht einmal der Kenntnis „des Staates“ bedarf. Alle Entscheidungen liegen in der eigenen Verantwortung.

Die Organisation eines Straßenfestes oder die Bepflanzung eines Beetes im öffentlichen Straßenraum erfordern zwar, das eigene Engagement mit den geltenden Rahmenbedingungen in Einklang zu bringen. Wenn allerdings – um bei den Beispielen zu bleiben – die Feuerwehr immer noch alles erreichen kann und die Beeteinfassung keine Gefahr für andere darstellt, ­verbleiben auch diese Beiträge zur lokalen Lebensqualität im Bereich der eigenen Kreativität und Verantwortung.

Bürgerhäuser und Stadtteilkulturzentren leisten als Orte der Begegnung, der Kultur und des Diskurses einen wesentlichen Beitrag zur Stadtteilidentität und -entwicklung. Hierbei treffen Impulse aus der Bevölkerung auf die Verantwortung der Teams, Entscheidungen über die Konzeption, die Angebote sowie die räumliche Gestaltung der Häuser zu treffen. Es entsteht eine lokale Beteiligungskultur, die sich stetig weiterentwickelt. P­arallel befassen sich ehrenamtliche Initiativen und Gremien wie die Stadtteilbeiräte nicht nur mit konkreten Projekten, über die in eigener Verantwortung entschieden werden kann, sondern auch mit Planungen und Entwicklungen, für die unterschiedliche Behörden zuständig sind.

Die lokale Expertise der Bürger*innen, von Einrichtungen, Initiativen und Gremien ist für die Verwaltung eine sehr wertvolle Ressource, um bessere Entscheidungen treffen zu können. Hierbei kann sie sich aber nicht nur an denjenigen orientieren, die ihre Interessen und Wünsche aktiv vorbringen, sondern muss stets auch an diejenigen denken, die aus unterschiedlichen Gründen an den Beteiligungsverfahren nicht teilnehmen oder noch nicht einmal geboren sind. Um sowohl das Engagement der sehr aktiven Bürger*innen wertzuschätzen als auch die Sichtweisen derjenigen zu erkunden, die den Weg in klassische Beteiligungsformate nicht von sich aus finden, hat es sich bewährt, beides zu kombinieren: Veranstaltungen mit offener Einladung und aufsuchende Verfahren.

Die Erprobung, Förderung und Weiterentwicklung aufsuchender Beteiligungsverfahren, in denen sich die gesamte Bandbreite der Sichtweisen und Lebenslagen in der Bevölkerung widerspiegelt, ist ein Arbeitsschwerpunkt der Stabsstelle Beteiligung und Bürgerhäuser der Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke (BWFGB). Die Argumente für diese Schwerpunktsetzung sind schwerwiegend: Die Verwaltung steht am Ende einer lückenlosen demokratischen Legitimationskette und hat alle Entscheidungen der Exekutive auch selbst zu treffen. Die Ergebnisse von Beteiligungsprozessen können aus verfassungsrechtlichen Gründen immer nur eine Empfehlung sein. Die Verwaltung bleibt stets in ihrer Letztentscheidungsverantwortung. Zugleich gilt der ebenfalls aus dem Grundgesetz abzuleitende Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Beteiligungskultur der Hamburger Behörden muss sicherstellen, dass die Chancen, in Beteiligungsverfahren Gehör zu finden, für alle Bürger*innen möglichst gleich sind. Um allen Mitarbeiter*innen der Bezirksämter bei der Durchführung und Weiterentwicklung von Beteiligungsverfahren einen gemeinsamen Orientierungsrahmen zu geben, haben sich alle Bezirksamtsleitungen und die BWFGB im Juni 2023 auf ein „Grundlagenwissen zur Beteiligung von Bürger*innen durch die Bezirksämter“ verständigt, in dem grundlegende rechtliche und konzeptionelle Fragen beantwortet werden, das aber auch die einheitliche Verwendung von Begrifflichkeiten zum Ziel hat (siehe das Stufenmodell unten). Es hat sich in der Praxis bewährt, Bürger*innen zu Beginn eines Beteiligungsverfahrens anhand eines Stufenmodells zu erläutern, um welche Form der Beteiligung es sich konkret ­handelt und aus welchen Gründen die Verwaltung unabhängig vom Ausmaß und der Intensität der Beteiligung in ihrer Letztentscheidungsverantwortung bleibt.

Stufenmodell der Kommunikation zwischen der Verwaltung und der Bevölkerung

Wenn in einem gut gefüllten Saal gleich zu Beginn Trans­parenz darüber hergestellt wird, dass die Ergebnisse der ­Beteiligung nur einen empfehlenden Charakter haben können, kann dies sowohl für die Teilnehmenden als auch für die Mitarbeiter*innen der Verwaltung eine Herausforderung sein. Der Wunsch der Bürger*innen, durch ihr Engagement eine ­bestimmte Lösung durchzusetzen, ist ebenso nachvollziehbar wie der Wunsch der Verwaltung, dass ihre Arbeit respektiert wird, bei der sie viel mehr berücksichtigen muss als die im Raum vertretenden Meinungen.

Es liegt in der Natur der Sache, dass sich die eigenen Interessen in einem Beteiligungsprozess nicht immer voll und ganz durchsetzen lassen. Wie rau der Tonfall wird, ist letztlich auch eine Frage des Respekts und des Verständnisses für die Sichtweisen und Rollen der anderen. Der Beitrag der Verwaltung zu gelingender Beteiligung liegt in der absoluten Transparenz über Entscheidungsspielräume und Verfahrenswege sowie in der Bereitschaft, lokale Expertise als Bereicherung der eigenen Professionalität wertzuschätzen. Nach der Beratung und Fortbildung von mehreren Hundert Mitarbeiter*innen der Bezirks­ämter in den letzten Jahren kann ich Ihnen versichern: Diese Bereitschaft ist definitiv vorhanden!

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