Mitdenken – Mitgestalten – Mitentscheiden

In Wilhelmsburg sind die Milieus über­proportional vertreten, die sich von der Demokratie nicht eingeladen fühlen. Viele der Bewohner*innen finden sich aufgrund kultureller bzw. Sprachbarrieren oder auch durch ein fehlendes Wahlrecht in den Strukturen unserer repräsentativen Demokratie nicht wieder. In Wilhelmsburg gibt es keinen gesellschaftlichen Mainstream – hier heißt es: Miteinander klarkommen. Das Bürgerhaus Wilhelmsburg berichtet über seine Erfahrungen mit Beteiligung und Partizipation in diesem Umfeld.

Autor*innen: Katja Scheer und Steph Klinkenborg

Netzwerktreffen Kulturlabor „Clubkultur auf den Elbinseln“, Foto: Elinor Lüdde

Beteiligung braucht Zielgruppennähe und gelebte, positive Erfahrungen

Demokratie aktiv und facettenreich leben, Aushandlungsprozesse auf der Grundlage von Solidarität und Menschlichkeit – dafür schafft das Bürgerhaus Wilhelmsburg in seiner Nachbarschaft die Grundlage, auf der Beteiligung und Beteiligtsein stattfinden kann. Die Ressource Raum stellt hier die stabile Basis: Seit Gründung fungiert das Haus als „Hardware der Bürger*innenbeteiligung“. Mit dem Angebot kostengünstiger Räume bietet es Gruppen, Parteien, Initiativen und Vereinen einen Ort zur Gestaltung demokratischer Teilhabe.

Mit seinen Formaten – ob Elbinsel Frauenfest, Die Insel liest oder Südwärts Festival – schafft das Bürgerhaus Orte der Begegnung und des ersten Austausches. Um diese nachhaltig zu gestalten, arbeitet das Haus in Netzwerken mit – wie dem Netzwerk Musik von den Elbinseln oder dem Wilhelmsburger Bündnis gegen Rechts u. v. a. Ziel ist hierbei die Einbindung der Zielgruppen vor Ort in ko-kreative Beteiligungsprozesse. Das ist der Humus für das Mitdenken-Mitgestalten-Mitentscheiden des Bürgerhauses Wilhelmsburg.

48h Wilhelmsburg

Das Bürgerhaus sucht gezielt die Menschen in den Quartieren auf. Prominentestes Beispiel ist das Netzwerk Musik von den Elbinseln, mit dem das Haus seit 2008 aktiv die Menschen vor Ort vernetzt. 48h Wilhelmsburg wurde so über das Netzwerk durch die Schwarmintelligenz der Akteur*innen im Stadtteil entwickelt. Ob Mitarbeit im Programmkomitee oder als gastgebender Ort – es gibt viele Wege, sich bei 48h aktiv zu beteiligen. Das nennt das Bürgerhaus Wilhelmsburg musikalisches Community Building, weil es eben nicht nur ein Event ist, sondern Beziehungen aufbaut, die auch den Alltag prägen.

Beteiligungsverfahren „Perspektiven!“

Hiervon profitierte auch das Beteilgungsverfahren „Perspektiven! Miteinander für die Elbinseln“. Von 2013 bis 2018 realisierte „Perspektiven!“ verschiedenste Beteiligungsverfahren, z. B. im Auftrag der IBA Hamburg oder der Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH (DEGES). Die Prozesse sollten alle Bewohner*innen, unterschiedliche Interessengruppen, Politik und Verwaltung auf Fachbehörden- sowie Bezirks­ebene zu einem möglichst frühen Planungsstand einbeziehen. In Kooperation mit dem Bezirksamt Hamburg-Mitte und der damaligen Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, sowie wissenschaftlich vom vhw – Verband für Wohnen und Stadt­entwicklung e.V. begleitet, sollte die lokale Bürger*innenbetei­ligung im Kontext der Fortschreibung des Rahmenkonzeptes „Sprung über die Elbe“ zu einem langfristigen Mitwirkungs­prozess für die Menschen im Stadtteil werden. Dabei bemühte sich das Bürgerhaus besonders, die Menschen einzubeziehen, die sich von üblichen Beteiligungsverfahren nicht eingeladen fühlen. Denn die vielen unterschiedlichen Menschen und ­Gruppen in Wilhelmsburg haben unterschiedliche Antworten darauf, welche Entwicklung die beste für die Elbinseln ist.

Südwärts TOGETHER Jugendnetzwerktreffen, Foto: Lea Pohlmann

Die Learnings

Das Bürgerhaus konnte durch seine interne interdisziplinäre Vernetzung und seine externen Netzwerke im Stadtteil als Knotenpunkt für zivilgesellschaftliches Handeln fungieren. „Perspektiven!“ konnte dabei Interessierte zur Selbstorganisation ermächtigen, Neu-Aktivierte in bestehende Strukturen vermitteln und erste Schritte von gemeinwesenorientierten Vorhaben in der Umsetzung praktisch unterstützen. Der definierte Rahmen von Beteiligungsverfahren machte es für das Bürgerhaus aber immer auch zu einer Gratwanderung zwischen „parteiisch für den Stadtteil“ und gleichzeitig „Auftragnehmerin“ zu sein. „Perspektiven!“ wurde Ende 2018 eingestellt, da eine ausreichende Finanzierung nicht mehr gegeben war. Aber eine kultur- und milieusensible Beteiligungsstruktur auf den Elbinseln braucht aber eine langfristige Ansprechbarkeit.

Beteiligung braucht vor allem: Wissen

Ob ko-kreativer Projektprozess bei 48h oder Vorschlag im Rahmen eines städtebaulichen Wettbewerbs: Im Moment der Entscheidungsfindung heißt es leider oft „in der Praxis nicht umsetzbar“. Dabei ist Beteiligung keine Einbahnstraße. Es braucht den Wissenstransfer als Powersharing: Die Nachbarschaft sollte Zugang zum benötigten Fachwissen haben, das die Koordinaten des Umsetzbaren verständlich macht. Das kann schnell durch speziell geschulte Coaches oder Online-Tutorials realisiert sein. Zum anderen muss der planerische Spielraum so erweitert und vereinfacht werden, dass die Ideen aus der Nachbarschaft sich auch umsetzen lassen.

Fazit: Kompliz*innen vor Ort

Das Bürgerhaus Wilhelmsburg setzt dort an, wo die Menschen leben und arbeiten, hört neugierig zu und sorgt für eine alltagstaugliche Vernetzung der Menschen. Hier kommen sehr viele Meinungen und Blickwinkel zusammen. Bürgerhäuser – und ähnliche Einrichtungen – können deshalb sehr gut Kompliz*innen vor Ort sein, auf dem Weg zu einer nachhaltigen, zugänglichen und demokratischen Bürger*innen­beteiligung.

KONTAKT
Bürgerhaus Wilhelmsburg
Mengestraße 20 · 21107 Hamburg
· www.buewi.de

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