Das Forschungstheater im FUNDUS THEATER hat in den vergangenen elf Jahren Projekte mit Hunderten von Schulklassen durchgeführt. Dabei fiel immer wieder auf, wie unterschiedlich die Schulen sind und wie ausschlaggebend die Stadtteillage ist. Mit dem Projekt KLASSENTAUSCH wird diese Unterschiedlichkeit zu einer Chance für eine Reise in eine andere Welt und für eine unwahrscheinliche Begegnung mitten in Hamburg.
AUTORINNEN: SIBYLLE PETERS UND GUNDULA HÖLTY
Das soziale und kulturelle Auseinanderdriften der Hamburger Stadtteile wird vielerorts beklagt und stellt nicht zuletzt für das Aufwachsen von Kindern in unserer Stadt ein Problem dar: Viele Kinder aus sozial schwachen Stadtteilen erleben kaum andere Teile der Stadt, Kinder aus gut betuchten Quartieren kennen andere Länder besser als die ärmeren Hamburger Randbezirke. Kinder aus Volksdorf haben mit Kindern aus Steilshoop wenig gemeinsam und entwickeln kein gemeinsames Gefühl für den urbanen Zusammenhang, in dem sie miteinander leben.
Die TUSCH-Partnerschaften mit der Grundschule Appelhoff und der Grundschule Ahrensburger Weg boten nun für das Forschungstheater den perfekten Rahmen. Esther Pilkington, Forscherin im mit dem Theater verbundenen Kolleg „Versammlung und Teilhabe“, brachte spannende Fragestellungen zum Verhältnis von Versammlung und Reise in das Projekt ein. Entstanden ist ein Modellprojekt, das Kinder und Schulen begeistert hat und viele weitere Kinder aus unterschiedlichen Teilen der Stadt miteinander verbinden kann.
Im Oktober 2014 tauschten eine Klasse der Grundschule Ahrensburger Weg in Volksdorf und eine Klasse der Grundschule Appelhoff in Steilshoop einen Tag lang die Plätze und durchlebten – betreut vom Team des Forschungstheaters – jeweils den Alltag der anderen Klasse in deren Schule und deren Stadtteil. Dieser Austauschtag wurde von den Leiterinnen des Projekts, Sibylle Peters und Esther Pilkington, gemeinsam mit den Klassen vorbereitet: Die Kinder erarbeiteten für die jeweils anderen Karten und Reiseführer: Welche Sehenswürdigkeiten gibt es in deinem Leben, deiner Schule, deinem Stadtteil? Was sollte man auf keinen Fall verpassen, was lieber vermeiden? Ein Spektrum darstellerischer und künstlerischer Mittel wurde eingesetzt, um mit der Repräsentation der eigenen Erfahrung zu spielen und zu experimentieren.
Alle waren Gäste und Gastgeber zugleich. Jeder Gast hatte die Aufgabe, den Besuch in der anderen Schule und dem anderen Stadtteil zu dokumentieren. Die Reiseführer lieferten dafür praktische Tipps zur Anreise, Details zum Unterricht und Informationen zur Pausen- und Freizeitgestaltung.
Die Kinder aus Volksdorf kamen z. B. mit geringen Erwartungen nach Steilshoop und waren dann begeistert vom Bauspielplatz, dem großen Schulhof, auf dem sehr gut Fußball gespielt werden konnte, und von den Steilshooper Kindern, mit denen man sofort ins Gespräch kam. Für ihre eigene Schule hatten sie im Reiseführer eine Warnung ausgesprochen: Besser nicht auf dem Fußballplatz spielen, dort sind viele Löcher – Stolpergefahr!
Persönlich kannten sich die Kinder nach dem Tausch noch nicht, das Forschungstheater wurde nun ein paar Tage später zur Bühne für diese Begegnung. Die beiden Gruppen kamen getrennt in den Theatersaal, abgeschirmt von einem Vorhang in der Mitte. Es war ein ganz besonderer Moment, als der Vorhang gelüftet wurde und sich die beiden Klassen in ihrer sichtbaren Unterschiedlichkeit gegenüber saßen – Gäste und Gastgeber, Zuschauer und Darsteller zugleich.
Im Theater wurden die Erlebnisse und Erfahrungen des Austausches vorgestellt: Was haben die Kinder herausgefunden über den Alltag der anderen, aber auch über den eigenen?
Videoeinspielungen dokumentierten den Austauschtag, die Schüler interviewten sich gegenseitig live im Theater. Dabei wurde viel gelacht. So fanden die Steilshooper Kinder die Häuser in Volksdorf zu klein, viele sahen auch zum ersten Mal ein Reetdach. Vom Wohlstand beeindruckt war eine Mädchengruppe, die das Zuhause einer Volksdorfer Schülerin besuchen konnte: „Bist du reich?“ fragten sie ihre Gastgeberin. Die Volksdorfer Kinder zeigten sich umgekehrt beeindruckt von der Vielfalt der Herkunftsländer und Sprachen in Steilshoop.
Am Ende zog das Forschungstheaterteam auf der Bühne ein Fazit: „Die meisten von euch finden vieles vom Leben der anderen total super. Und zwar auf beiden Seiten. Begehrenswert geradezu. Und andererseits findet ihr vieles am eigenen Leben trotzdem besser. Natürlich gibt es Unterschiede: Die einen schreiben nicht so gern und sprechen dafür perfekt in die Kamera. Die anderen genau umgekehrt. Die einen haben ein großartiges Haus, die anderen einen großartigen Baui. Die einen haben einen Hund, die anderen einen Streichelzoo. Die einen können schon um eins nach Hause gehen, die anderen haben eine Küche in der Schule, in der es nach Keksen riecht. Und weil das fast zu schön klingt, um wahr zu sein, setzen wir uns alle zusammen in die Mitte und reden noch ein bisschen darüber.“
KONTAKT
Forschungstheater im FUNDUS THEATER
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