Wenig Geld für viel Arbeit

Der Stadtteilkultur wird eine große Bedeutung beim Einsatz gegen das Auseinanderdriften der Gesellschaft zugeschrieben, weil sie in der Lage ist, Brücken zu bauen. Doch diese Bedeutung findet sich leider nicht in der Entlohnung der Mitarbeiter*innen wieder.

Autorin: Corinne Eichner

Foto: Sara Kurfess, unsplash.com

Man traut der Hamburger Stadtteilkultur auf fast alle gesellschaftlichen Problemlagen eine Antwort zu, seien es gelingende Integrationskonzepte, Angebote für Geflüchtete, Programme für die kulturelle Bildung und das Selbstbewusstsein für Kinder und Jugendliche, Kultur für Alle, Erinnerungskultur oder Bildung für Alle – um nur einige zu nennen.

Die materielle und personelle Situation vieler stadtteilkultureller Einrichtungen bleibt jedoch trotz ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz und Bedeutung in hohem Maße prekär. Sie entspricht kaum den erbrachten kulturellen, ästhetischen und gesellschaftlichen Leistungen. Und die Aufgaben der Stadtteilkultur wachsen noch mit dem Auseinanderdriften der Gesellschaft.

Diese Aufgaben erfordern qualifizierte Fachkräfte, die über ein Höchstmaß an Engagement, Organisationsfähigkeit, Durchhaltevermögen und Know-how verfügen und eine große Kreativität und Einfühlungsvermögen mitbringen. Beschäftigte in der Soziokultur stehen heute hochkomplexen Aufgaben gegenüber, die sie mit ebenso komplexen, professionellen Mitteln bewältigen und für die sie oft eine akademische Ausbildung benötigen. Viele Aufgabenbereiche gehen mit einem hohen Maß an Verantwortung einher. Und doch ist die Bezahlung in fast allen Fällen in keiner Weise mit der Entlohnung in anderen Branchen vergleichbar und entspricht nicht dem anspruchsvollen Aufgabenprofil – dieses ergibt eine Abfrage, die STADTKULTUR HAMBURG unter seinen Mitgliedern im ersten Halbjahr 2019 erhoben hat.

Sofern überhaupt angelehnt an ein Tarifsystem bezahlt wird – bei 63 Prozent der befragten Mitgliedsorganisationen ist dies der Fall –, werden Beschäftigte in der Stadtteilkultur oft in niedrige Gruppen eingruppiert.

Die häufigste Tarifgruppe ist dabei die Tarifgruppe E9 mit 36,6 Prozent. In dieser Gruppe, in die im öffentlichen Dienst oft Sachbearbeiter mit begrenztem Aufgabenbereich eingruppiert werden, finden sich in der Stadtteilkultur auch Projektleiter*innen, wissenschaftliche Mitarbeiter*innen und sogar Geschäftsführende, die zumeist aber in den etwas höher bezahlten Tarifgruppen E10 (44 Prozent) und E11 (40,7 Prozent) zu finden sind – was noch immer deutlich unter der Bezahlung liegt, die bei vergleichbaren Aufgaben und ähnlicher Verantwortung üblich ist.

Dabei wollen sich auch Beschäftigte der Stadtteilkultur das Leben in Hamburg leisten können. Doch unbezahlte Mehrarbeit ist weit verbreitet, weil die meisten Beschäftigten nicht immer zuerst an die Entlohnung denken, sondern mit viel Idealismus häufig in Teilzeitarbeitsverhältnissen Programme und Projekte auf die Beine stellen.

Lediglich 17,8 Prozent der Stellen in den befragten Einrichtungen sind Vollzeitstellen, und bei 17,4 Prozent der Einrichtungen und Initiativen erhalten die Beschäftigten keinerlei Ausgleich für geleistete Mehrarbeit.

Dabei werden in den Einrichtungen im Schnitt monatlich knapp 36 Stunden Mehrarbeit geleistet und die befragten Organisationen geben an, dass für eine gute Arbeit eigentlich durchschnittlich 114 zusätzliche Stunden notwendig wären.

Der Idealismus der Beschäftigten kann auch zur Falle werden, wenn es darum geht, eine Wohnung in einer der teuersten Städte Deutschlands zu finanzieren oder gar eine Familie zu ernähren. Angesichts der gelebten Unsicherheit in der Branche stellt sich diese Frage dann oft erst gar nicht. Sonderzahlungen – wie Weihnachtsgeld – sind alles andere als die Regel: Lediglich 45,7 Prozent der befragten Mitglieder gaben an, dass ihre Beschäftigten Jahressonderzahlungen nach Tarif erhalten.

Gleichzeitig führt die hohe Zahl an Überstunden, die nur zu einem Teil ausgeglichen werden können, zu einer gesundheitsgefährdenden Überlastung, weil zu viele Aufgaben auf zu wenigen Schultern lasten. Befristungen sind angesichts der verbreiteten Projektförderungen nicht unnormal: 18,7 Prozent der Beschäftigten in der Stadtteilkultur haben keine dauerhafte Beschäftigung.

Richtig schlimm kann es schließlich werden nach dem aktiven Arbeitsleben in der Stadtteilkultur: Dann droht nach vielen Jahren Engagement weit über den bezahlten Rahmen hinaus auch noch die Altersarmut. Wie so oft sind die Frauen besonders betroffen, denn sie machen 67 Prozent der Beschäftigten in der Stadtteilkultur aus.

Immer schwerer wird es indessen, angesichts des Fachkräftemangels qualifizierten Nachwuchs für die Stadtteilkultur zu finden, der unter diesen Bedingungen überhaupt anfangen will. Und diejenigen, die mit viel Enthusiasmus und guter Ausbildung in der Soziokultur in ihr Arbeitsleben starten, geben häufig spätestens dann auf, wenn sie merken, dass Aufstiegsmöglichkeiten und Bezahlung in anderen Branchen deutlich besser sind – und sie mit den gesammelten Arbeitserfahrungen sehr gute Chancen haben bei einem Wechsel. Ihr Potenzial und der Aufwand für ihre Einarbeitung sind dann für die Stadtteilkultur unwiederbringlich verloren.

Eine Initiative von jüngeren Mitarbeiter*innen verschiedener Einrichtungen der Stadtteilkultur hat sich jüngst auf den Weg gemacht, um an dieser Situation etwas zu ändern und hat begleitet von der Gewerkschaft Ver.di das Bündnis KulturWert gegründet, mit dem Ziel, einen „fairen Tarif für alle“ zu erreichen. Dabei hat das Bündnis das große Problem, dass es keinen Arbeitgeber gibt, an den es seine Forderungen sinnvollerweise stellen könnte, denn die Vereine, Stiftungen und Initiativen der Stadtteilkultur verfügen kaum über die Mittel, angelehnt an einen Tarif zu zahlen und gar Tariferhöhungen zu tragen.

Die nach vielen Jahren 2017 endlich erfolgte Erhöhung der Rahmenzuweisung Stadtteilkultur war sehr wichtig, aber sie reichte nicht einmal, um die größten Löcher zu stopfen – und sie half auch nur den institutionell geförderten Stadtteilkulturzentren und Geschichtswerkstätten. Von der dynamischen Erhöhung der Rahmenzuweisung um 1,5 Prozent seit 2019 kommt wegen der Verteilungspolitik in vielen Bezirken übrigens auch kaum etwas in den Einrichtungen an. Gleichzeitig liegen die Steigerungsraten der Tarifverhandlungen der letzten Jahre deutlich über 1,5 Prozent.

Dieser permanente ökonomische Druck birgt die Gefahr, dass sich stadtteilkulturelle Einrichtungen und Initiativen von ihren Konzepten und Zielen entfernen könnten und sich an einem marktkonformen Pragmatismus orientieren, der Inhalte und Werte der Soziokultur ignoriert. Weil sie es irgendwann müssen, wenn die Mittel nicht mehr für Programm und Inhalt, sondern nur noch für einen Teil der Fixkosten reichen und auch das Geld für qualifizierte Arbeit fehlt. Das kann nicht im Sinne der Stadtteilkultur und auch nicht im Sinne Hamburgs liegen.

TEILEN MIT: