Als im ersten Quartal 2020 das Coronavirus unsere Welt ins Wanken brachte, waren zunächst alle mit dieser beispiellosen Situation, die sich noch dazu unablässig veränderte, vollkommen überfordert. Für mehr als zwei Monate mussten Einrichtungen der Stadtteilkultur – wie viele andere auch – ihre Türen vollständig schließen. Corinne Eichner, die Geschäftsführerin von STADTKULTUR HAMBURG, über die Entwicklungen der letzten Monate und die aktuelle Lage der Stadtteilkultur.
Autorin: Corinne Eichner
Mit hohem finanziellen Einsatz und absolut herausragendem Engagement wurden von der Freien und Hansestadt Hamburg und schließlich auch auf Bundesebene Unterstützungen organisiert, um wenigstens einen Teil der Einnahmeausfälle der Kultur zu kompensieren. Als schließlich Ende Mai unter strengen Auflagen wieder erste Schritte der Öffnung für die Hamburger Stadtteilkultur ermöglicht wurden, kam diese Nachricht noch überraschender als der Lockdown gekommen war (siehe auch: Eine Chronologie des Lockdowns im letzten Heft).
Damals hatten wir für das stadtkultur magazin bereits einige der Protagonisten der Stadtteilkultur dazu befragt, wie sie diese Zeit erlebten und was die Pandemie und die sich daraus ergebenden Einschränkungen für sie und insbesondere für die Arbeit der Einrichtungen und Initiativen bedeutet. Wenn ich mir heute die Porträts ansehe, die die Autor*innen der Beiträge zeigen, fällt mir auf, wie sorgenvoll die Blicke ausfallen.
Heute stehen wir vor einem Herbst, der mit wieder steigenden Infektionszahlen nicht allzuviel Hoffnung macht auf eine baldige Verbesserung für die Stadtteilkultur.
Nachdem sich in den ersten Monaten der Pandemie die Ereignisse, die Nachrichten, Allgemeinverfügung und Rechtsverordnungen überschlagen – Ortrud Schwirtz nennt es in ihrem Artikel „Verordnungsvielfalt“ –, wurde es für die Stadtteilkultur in den Sommermonaten etwas ruhiger, wenn auch nicht weniger arbeitsreich. Nun galt es, individuelle Wege zu finden, wie mit der Lage umzugehen ist, Hygienekonzepte zu entwickeln und herauszufinden, wie in Zeiten von Corona, von Abstand und Hygiene wieder Kultur ermöglicht und die jeweilige Einrichtung, Initiative oder das Projekt über die Runden gebracht werden kann.
Heute stehen wir vor einem Herbst, der mit wieder steigenden Infektionszahlen nicht allzuviel Hoffnung macht auf eine baldige Verbesserung für die Stadtteilkultur. Aus einer Ausnahmesituation wird wohl tatsächlich für eine unbestimmte Dauer so etwas wie ein sogenanntes „neues Normal“.
Wir haben einige der Autor*innen des letzten stadtkultur magazins deshalb erneut gefragt, wie ihre Situation sich darstellt, wie sie mit den Herausforderungen umgehen und wie es ihnen in dieser Zeit geht.
Stadtteilkultur mit Abstand
Der Betrieb in der Hamburger Stadtteilkultur ist aufgrund der Corona-Verordnung nur eingeschränkt möglich. Das neue Normal in der Kultur: Immer mit 1,5 Meter Abstand – bei Gesang sind mindestens 2,5 Meter Abstand geboten und Tanzen ist nicht erlaubt. Mit Alkoholausschank kommt man in Innenräumen ohne feste Sitzplätze nur auf maximal 50 Besucher*innen.
Auszug aus der Verordnung zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 in der Freien und Hansestadt Hamburg (gültig ab 15. September 2020)
§ 9 Allgemeine Vorgaben für Veranstaltungen
(1) Soweit diese Verordnung nichts anderes bestimmt, sind Veranstaltungen mit einer Teilnehmeranzahl von mehr als 1000 Personen (Großveranstaltungen) untersagt.
(2) Soweit diese Verordnung nichts anderes bestimmt, sind Veranstaltungen nur zulässig, wenn die Bedingungen in Absatz 3 oder Absatz 4 eingehalten und die folgenden Vorgaben erfüllt werden:
- die allgemeinen Hygienevorgaben nach § 5 sind einzuhalten,
- ein Schutzkonzept ist nach Maßgabe von § 6 zu erstellen,
- es sind Kontaktdaten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach Maßgabe von § 7 zu erheben,
- zwischen dem Publikum und Bühnen oder Podien, auf denen Darbietungen stattfinden, ist ein Mindestabstand von 2,5 Metern zu gewährleisten,
- (aufgehoben)
- das Tanzen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist untersagt.
Für Verkaufsstellen und gastronomische Angebote gelten §§ 13 und 15 entsprechend.
(3) Veranstaltungen mit festen Sitzplätzen sind im Freien mit bis zu 1000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern und in geschlossenen Räumen mit bis zu 650 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zulässig. Bei Veranstaltungen mit über 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern sind im Schutzkonzept gemäß § 6 die Anordnung der festen Sitzplätze, der Zugang und Abgang des Publikums, die Belüftung, die sanitären Einrichtungen sowie die allgemeinen hygienischen Vorkehrungen detailliert darzulegen.
(4) Veranstaltungen ohne feste Sitzplätze sind im Freien mit bis zu 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern und in geschlossenen Räumen mit bis zu 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zulässig. Erfolgt während der Veranstaltung oder in den Pausen ein Alkoholausschank, reduziert sich die Anzahl der zulässigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer jeweils um die Hälfte.
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Welche Veranstaltungs- und Kursformate sind da noch möglich? Welche tragen sich finanziell noch? Schließlich haben bei einer kurzen Umfrage von STADTKULTUR HAMBURG unter seinen Mitgliedern über 40 Prozent der Befragten angegeben, bis Jahresende einen Liquiditätsengpass zu erwarten, der auf Beträge zwischen 10.000 und 200.000 Euro beziffert wird.
Bei einer kurzen Umfrage von STADTKULTUR HAMBURG unter seinen Mitgliedern haben über 40 Prozent der Befragten angegeben, bis Jahresende einen Liquiditätsengpass zu erwarten.
Und was ist sinnvoll? Funktioniert Stadtteilkultur bei diesen Einschränkungen überhaupt noch? Um es kurz zu machen: Jein. Oder, mit den Worten Konstantin Ulmers: Naja.
Zum Glück sind Kreativität und Improvisation der Stadtteilkultur in die Wiege gelegt und in jahrzehntelanger Aufbauarbeit erweitert und verfeinert worden. Und so werden an vielen Orten in der Stadt nun Ideen entwickelt, Projekte und Angebote geplant, online wie analog, die Kultur bieten und Nähe ermöglichen – ohne physische Nähe zu fordern. Zusammenhalt mit Abstand und doch sehr nahe dran. Zusammenhalt ist einer der wichtigsten Werte, für die die Stadtteilkultur steht.
Deshalb werfen wir in dieser Ausgabe auch einen Blick auf die Künstler*innen, ohne die die Kultureinrichtungen in weiten Teilen nur eine leere Hülle wären (siehe die Artikel: Sie sind wieder da, Wenn die Musikszene zum Sozialfall wird und Von der Schockstarre zur Neuaufstellung): Lebenswerte Stadtteile und eine Zukunft für die Stadtteilkultur sind ohne die Arbeit der Künstler*innen nicht denkbar.