Stadtteilkulturzentren ermöglichen das Zusammenkommen, stärken Verbindlichkeit und Vertrauen sowie das gemeinsame Nachdenken darüber, wie wir zusammen leben wollen. Doch was ist die Aufgabe der Politik: Fürsorge oder Vorsorge?
Autor: Dr. Carsten Brosda
2010 veröffentlichte der britische Anthropologe Daniel Miller ein Buch mit dem Titel „Der Trost der Dinge“. Darin portraitiert er Menschen, die zwar in derselben Straße in London wohnen, aber deren Haushalte doch sehr unterschiedlich aussehen. Miller leitet aus den unterschiedlichen Einrichtungen unterschiedliche Lebenseinstellungen ab. So steht am Ende die Erkenntnis: Menschen suchen sich immer eine Art von Ordnung. Und bisweilen tritt an die Stelle eines gesellschaftlichen Zusammenhalts eine enge Bindung zwischen ihnen und ihrem Hab und Gut. Mit der Corona-Pandemie hat dieses Bild an Kontur gewonnen. Draußen tobte Chaos, drinnen suchten viele nach Ordnung und Sicherheit. Aber natürlich kann, auf die Spitze getrieben, eine Beziehung zu Gegenständen keine zwischenmenschliche Beziehung, geschweige denn einen gesellschaftlichen Zusammenhalt ersetzen.
Gerade in einer Großstadt mit ihrem Wesensmerkmal der Anonymität brauchen wir Orte, an denen Menschen aus ihren häuslichen Komfortzonen herauskommen und sich auf offene Situationen einlassen; offene Orte, an denen Individualität und Vielfalt zusammenkommen und wir uns im Spiegel der anderen selbst besser kennenlernen. Stadtteilkulturzentren sind solche Orte. Sie erfüllen Aufgaben im sozialen Nachbarschaftskontext und schaffen gleichzeitig den Raum für zweckfreie Kultur- und Kunstformate. Und sie ermöglichen noch etwas: Sie geben weltbewegenden Herausforderungen vor Ort ein Gesicht. Diese Nähe und unmittelbare Erfahrung ist entscheidend. Letztlich haben wir auch dies im Zuge der Corona-Pandemie erlebt: Der digitale Austausch über Meilen Entfernung hinweg ist lebenswichtig, kann aber nie den direkten Austausch von Mensch zu Mensch ersetzen.
Im Ausloten und Ausprobieren von möglichen Alternativen fördern Stadtteilkulturzentren sowohl Selbstwirksamkeit als auch Gemeinschaftswirksamkeit. Vor Ort werden lokale und globale Themen miteinander verzahnt. So entsteht zum Beispiel im KulturEnergieBunkerAltonaProjekt „KEBAP“ ein Raum für Partizipation, an dem dezentral Energie erzeugt werden soll. Im Projekt „Sound in the silence“ der „Motte“, werden an ehemaligen Orten des Grauens wie der KZ-Gedenkstätte Neuengamme neue Formate und Dimensionen der kollektiven Erinnerung erarbeitet. Das Stadtteilfest „altonale“ verhandelt gesellschaftliche Prozesse und spürt der Frage nach, welche Rolle Kultur im urbanen Gefüge spielen kann. Die Zinnschmelze erörtert mit ihrer Projektreihe „HaLT! In Zeiten der Erschütterung“ den Umgang miteinander und mit unserer Umwelt.
Das sind einzelne unterschiedliche Beispiele. Die Frage, ob und wie Vernetzungen und Kooperationen der Stadtteilkulturzentren untereinander gelingen können, ist eine Frage, die in einer sich wandelnden Gesellschaft immer wieder essentiell ist. Der Hamburger Kultursommer hat in diesem Jahr gezeigt, was wir gemeinsam erreichen können und was eine gute Zusammenarbeit von Verwaltung und Kreativszene hervorbringen kann. Die Kulturbehörde begibt sich immer gerne in einen Diskurs mit der Stadtteilkultur – nicht zuletzt, weil sie selbst sehr viel für ihre eigene Arbeit lernen kann.
Die Politik sichert die materielle Basis der Stadtteilkulturzentren. Wir sind inzwischen schon im zweiten Doppelhaushalt mit einer festverankerten Steigerung um 1,5 % der Rahmenzuweisung unterwegs, haben mit dem laufenden Doppelhaushalt den Ausgleich der aufgelaufenen Tarifsteigerungen in den Blick genommen und den Ansatz zur Förderung des Dachverbandes wesentlich erhöht, um auch hier die Vernetzungsarbeit und den Kompetenzaufbau weiter zu stärken. Hamburg fördert aktuell 28 Stadtteilkulturzentren, 17 Geschichtswerkstätten und darüber hinaus viele weitere Netzwerkknoten wie Bürgerhäuser und Kulturzentren in der ganzen Stadt. Dabei geht es nie darum, fürsorglich einen Anforderungskatalog vorzugeben, sondern stattdessen vorsorglich die notwendigen Infrastrukturen herzustellen, damit die Arbeit an Ort und Stelle bestmöglich gelingen kann. Wir müssen dabei immer wieder gemeinsam darüber diskutieren, welche zeitgemäßen Infrastrukturen notwendig sind.
Kann die Politik die Superkraft der Stadtteilkultur messen? Jein. Sie kann unterschiedliche Kennzahlen abfragen, wie zum Beispiel die Höhe der Einnahmen oder die Anzahl an Kooperationen mit Schulen. Diese Zahlen geben eine Auskunft darüber, wie viele Menschen erreicht werden. Aber mehr auch nicht. Die eigentliche Wirkmacht liegt woanders. Wir können nicht messen, wen ein Kulturangebot tatsächlich verändert und wer wieder andere zu Debatten anstiftet. Aber genau das ist die eigentliche Superkraft von Kunst und Kultur. Wir wissen nicht genau, was passiert, aber wir wissen, dass etwas passiert. Und eben diese Anerkennung, dass man nicht alles quantifizieren kann, ist für die Politik das oberste Gebot. Es ist das Fundament für jegliche Förderung, auf dem alles andere aufbaut.