In der Kunstklinik in Eppendorf blieb der Gründer und langjährige Geschäftsführer Klaus Kolb noch zwei Monate als Minijobber, um die Übergabe zu erleichtern – ein gut vorbereiteter Wissenstransfer war wegen ständiger Zeitnot trotzdem kaum möglich. Seine Nachfolgerin Rika Tjakea Schütte, die vorher in Öffentlichkeitsarbeit und Veranstaltungs-Management der Kunstklinik aktiv war, probiert den Schwung des aufreibenden Wechsels zu nutzen, um alte Strukturen aufzuknacken und im Team eine neue Richtung zu finden. Beide Statements zeigen: Wertvoll ist sowohl der Blick zurück zu den Anfängen, als auch in eine Zukunft mit ganz neuen Ideen.
Seit zwei Jahren stand das Thema Nachfolgeplanung auf den To-do-Listen der Kunstklinik. Es gab Diskussionspapiere, Team-Konferenzen und einen Workshop mit dem Vereinsvorstand. Da sich mehrere Mitarbeiter*innen in die Rente verabschiedeten, ging es nicht nur allein um die Geschäftsführung, sondern auch um Strukturen und Arbeitsweisen, um Übergabe von Wissen. Auch war klar, dass sich die Kunstklinik mehr für Jüngere öffnen muss, wenn die Gründer*innen gehen.
Das alles neben dem Alltag zu schaffen, war ein großer Anspruch, und wir litten darunter, immer hinterher zu hecheln. Im Rahmen des Möglichen haben wir uns aber Stück für Stück vorgearbeitet und ein Zeitstrahl, der in großem Format an der Bürowand hing, half dabei.
In unserem speziellen Fall war es für die Nachfolge der Geschäftsführung sehr glücklich und vorteilhaft, dass meine langjährige Kollegin Rika ihren Hut in den Ring warf. Wir brauchten diese Stelle nicht auszuschreiben, aber drei weitere Stellen wurden innerhalb der letzten zwei Jahre im Rahmen von Bewerbungsverfahren erfolgreich neu besetzt – übrigens über den Kultur-Stellenmarkt von STADTKULTUR.
Wie alles anfing: Die 80er-Jahre waren eine Gründungszeit. Ich war arbeitsloser Akademiker, suchte Sinn und brauchte Geld. Zusammen mit sechs Freund*innen begann ich – wie man heute sagen würde – mit einem Startup. Die Business-Berater*innen waren Kolleg*innen aus Stadtteilkulturzentren, die es schon geschafft hatten. Der Business-Angel war das Arbeitsamt, das zwei ABM-Stellen – Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen – für zwei Jahre unter der Überschrift „Aufbau eines Stadtteilkulturzentrums in Eppendorf“ bezahlte. Wir waren mutig, hatten Power und sogar einen gemeinnützigen Verein im Hintergrund. Nur das Wichtigste fehlte: die Räume. Ein bezahlbares Haus war nicht in Sicht. Also mieteten wir ein Ladenlokal und gründeten den „Kulturladen Eppendorf“. Dieser musste nach einigen Monaten einem Sonnenstudio weichen und nach zähen Verhandlungen schafften wir es, in der mittlerweile freigewordenen Polizeiwache an der Martinistraße zu landen. Für das im Krieg als Luftschutzkeller ausgebaute Souterrain hatte niemand Verwendung. Wir brauchten zwei Jahre, bis alles saniert war. Und aus dem Kulturladen wurde mit Geschick, Glück und vielen Unterstützer*innen das Kulturhaus. Es hätte auch scheitern können, und vielleicht deshalb sind mir Zauber und auch Anspannung der Aufbauzeit immer noch gut im Gedächtnis. Etwa 25 Jahre später stürzte ich mich in ein ähnliches Abenteuer mit dem Neubauprojekt im ehemaligen Krankenhaus Bethanien, und aus dem Kulturhaus wurde die Kunstklinik.
In einer Zeit der Mehrfachkrisen werden die nächsten Jahre für die Hamburger Stadtteilkultur nicht einfach. Vielleicht hilft ein kleiner Blick zurück zu den Wurzeln. Die Zentren bieten bezahlbare oder kostenlose Räume, damit Menschen sich in ihrem Alltag vermehrt helfen oder selbst organisieren können. Vielen Menschen wird weniger Geld zur Verfügung stehen. Die Eigenmittelquoten der Kulturzentren werden vermutlich sinken. Bleibt zu hoffen, dass die zu erwartenden städtischen Sparrunden an der Stadtteilkultur vorübergehen.
Im Jahr 2010 zog ich nach Eppendorf und landete im Kulturhaus als selbständige Gesangslehrerin. Als das Team mich bat, im Vorstand mitzuarbeiten, habe ich sofort zugesagt und das Gefühl gehabt: Hier bist du richtig gelandet, das ist ein guter Ort. Von Anfang an habe ich mich mit Schwung engagiert und dann bald eine Zehn-Stunden-Stelle im angedockten Nachbarschaftsnetzwerk martini.erleben übernommen, die überraschend frei wurde. Die Zusammenarbeit mit den Nachbar*innen und dem Team lief gut, und als unsere Veranstalterin und Öffentlichkeitsarbeiterin Verena Ziegler in Rente ging, übernahm ich ihre Stelle – als studierte Kulturwissenschaftlerin passte das gut. Von diesem Posten bin ich nun am 1. Mai weiter aufgerückt zur Geschäftsführung, werde hilfreich und freundlich beraten von den Mitarbeiter*innen des Bezirksamts und in finanziellen Belangen gut unterstützt von unserer kompetenten Buchhalterin. Auch Klaus Kolb ist immer noch für Fragen ansprechbar. Über unser ganzes Team aus alten und neuen Mitarbeiter*innen bin ich sehr glücklich. Alle engagieren sich mit Herz und Freude, kommunizieren klar, sind kritikfähig, arbeiten gern zusammen und ziehen an einem Strang. Unsere Hierarchien sind flach und alle haben gute Möglichkeiten, ihre Arbeit selbst zu gestalten. Wir haben uns bemüht, den Schwung, den ein solcher Wechsel bringt, gut zu nutzen und gemeinsam alte Strukturen aufzuknacken, neue Ideen aufzunehmen und eine gemeinsame Richtung zu finden, statt erst die neuen Mitarbeiter*innen in alte Strukturen einzugewöhnen und dann mal zu sehen.
Nun ist Zeit – in Häusern wie unserem immer knapp durch das ebenfalls knappe Geld – in Umbruchphasen noch knapper. Umso stolzer bin ich auf unser Team, dass wir es geschafft haben, frühzeitig einen Teamtag zu machen und immer wieder die zusätzliche Zeit aufzubringen, die neue – und später dann zeitsparende Strukturen – erst einmal verlangen. Wir sind fortlaufend im Gespräch über Verbesserungen und neue Ideen, trösten und helfen einander in Phasen der Überlastung und haben Lust, unsere Arbeit selbstbestimmt zu gestalten. Und wir haben viel miteinander zu lachen, wenn auch manchmal aus Verzweiflung.
Für den Wechsel war hilfreich, dass Klaus Kolb noch zwei Monate bis Ende Juli als Minijobber bei uns blieb, um die Übergabe an mich zu erleichtern und die neue Mitarbeiterin bei martini.erleben einzuarbeiten. Ausreichend für einen wirklich guten Übergang war das nicht und wir merkten, dass in Sachen Wissenstransfer vieles besser hätte vorbereitet sein sollen. Viele Listen wurden erstellt, aber es fehlte ein grundsätzliches System, wie im Betrieb Informationen über Arbeitsabläufe und ähnliches für den täglichen Gebrauch festgehalten werden können. Auch dies als Folge der fortdauernden Zeitnot.
Von Vorteil ist, dass wir ein Team aus flexiblen, vielseitigen und selbstverantwortlichen Mitarbeiter*innen sind: Für die Neubesetzungen haben wir gezielt nach eierlegenden Wollmilchsäuen gesucht – und sie gefunden. Die Herausforderung ist, diese zu halten – trotz der zu niedrigen Einstufung und der knappen Gelder, die nur Teilzeitstellen zulassen. Mit mäßigem Gehalt und eigentlich immer zu wenig Zeit versuchen wir, viel zu schaffen, das Leben vieler Menschen zu bereichern und sie zu aktivieren. Wir stürzen uns begeistert auf neue arbeitsreiche Projekte und machen vieles möglich.
Meine Hoffnung richtet sich auf eine gerechtere Einstufung der Stellen in der Stadtteilkultur, wie sie vom Bündis KulturWert! gefordert wird. Und ich hoffe auch, dass mir mein fabelhaftes Team nicht abgeworben wird.
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