Stadtteilkultur kann unserer Gesellschaft zeigen, dass wir Dinge verändern können

Im Interview mit Dr. Carsten Brosda fragte Moderatorin Donia Müller den Kultursenator auf dem Ratschlag „FuturesCamp Stadtteilkultur – Gemeinsam Zukunft denken“ nach seinen Vorstellungen zur Zukunft für und mit der Stadtteilkultur.

Interview: Donia Müller

Senator Dr. Carsten Brosda im Interview mit der Moderatorin Donia Müller, Foto: Miguel Ferraz

DONIA MÜLLER: Was ist Ihre persönliche wünschenswerte Zukunftserzählung für die Stadtteilkultur?

CARSTEN BROSDA: Wenn ich an die Stadtteilkultur der Zukunft denke, dann wünsche ich mir, dass wir es weiterhin schaffen, ihr ausreichend Mittel zur Verfügung zu stellen, gerade auch um eine faire Bezahlung zu gewährleisten. Wir wollen außerdem die Häuser in die Lage versetzen, schnell und flexibel auf veränderte Umstände zu reagieren. Dazu gehört, das tun zu können, was konkret notwendig und sinnvoll ist, aber auch, diese Anpassung auch immer wieder neu vornehmen zu können.Ich sehe vor allem eine sehr fluide Infrastruktur, auf die wir uns, gerade weil sie so wandlungsfähig ist, verlassen können und die jederzeit auf der Höhe der Zeit ist. Durch die Art und Weise, wie sich unsere Gesellschaft momentan verändert, können wir aber gar nicht wissen, was in fünf Jahren die Herausforderungen sein werden.

DONIA MÜLLER: Was sind denn die Stärken der Stadtteilkultur, die dann richtig eingesetzt werden können? Die spezifischen Stärken, die vielleicht auch in der Stadt Hamburg den Beitrag leisten können, in der Stadtteilkultur die positive Zukunft mitzugestalten?

Dr. Carsten Brosda im Interview, Foto: Miguel Ferraz

CARSTEN BROSDA: Tatsächlich sehe ich da eine ganze Reihe von Stärken: Zum einen die Niedrigschwelligkeit und das Vor-Ort-Sein. Die Orte der Stadtteilkultur sind tatsächlich Kulturorte, die völlig selbstverständlich zum Alltag ihrer Nutzerinnen und Nutzer gehören. Zum anderen die Niedrigschwelligkeit, wirklich offener Ort zu sein, genutzt zu werden durch die Menschen, die vor Ort sind, sich einbringen und daraus etwas entstehen lassen.

Auch das ist ein Vorteil: In der Regel wissen die Kulturzentren viel mehr über ihre Nutzerinnen und Nutzer als andere Orte der Kultur, auch weil ihre programmatische Entwicklung von vornherein viel stärker partizipativ und auf Teilhabe angelegt ist.

Mit Blick auf Zukünfte und Zuversicht teilen Stadtteilkulturzentren einen Umstand mit allen anderen Kulturorten: Sie ermöglichen uns ganz praktisch und unmittelbar andere Realitäten zu durchspielen.
Insofern können gerade Stadtteilkulturzentren auf eine ganz eigene Art und Weise unserer Gesellschaft plausibel machen, dass wir Dinge verändern können – gerade weil sie es mit Niedrigschwelligkeit und Teilhabeorientierung verbinden.

Genau diesen Impuls in eine Stadtgesellschaft hineinzubringen, ist das, was wir so dringend brauchen. Denn manchmal habe ich das Gefühl, dass wir uns gar nicht mehr vorstellen können, dass etwas anderes denkbar ist, sondern wir glauben uns die Dystopien selber, die wir uns erzählen.

Senator Dr. Carsten Brosda im Interview mit der Moderatorin Donia Müller auf dem Ratschlag Stadtteilkultur 2024, Foto: Miguel Ferraz

DONIA MÜLLER: Wenn wir jetzt auf die Kulturpolitik schauen: Was wäre Ihre Perspektive darauf, was für Voraussetzungen, was für Rahmenbedingungen da auch von der Kulturpolitik geschaffen werden können, damit die Stadtteilkultur eben diese Stärken auch gut entfalten kann?

CARSTEN BROSDA: Die wichtigste Rahmenbedingung, die wir zu gestalten haben, ist das Geld. Man wünscht sich manchmal, dass es anders wäre, aber die Welt ist dann da doch recht simpel. In Hamburg befinden wir uns momentan fast auf einer Insel der Glückseligen, weil wir einen steigenden Kulturhaushalt haben. Es steigen nicht nur die regulären Zuwendungen für die Rahmenzuweisung Stadtteilkultur – in den kommenden beiden Jahren um rund 10 Prozent – sondern wir finanzieren auch den Tarifausgleich und vor allem die Umsetzung der Stellenbewertung, die wir vorgenommen haben. Wir geben den Stadtteilkulturzentren so die Mittel, um – analog zum öffentlichen Dienst – auch ihre Beschäftigten entlang der Stellenbewertung zu bezahlen. Das ist schon wirklich ein Riesenschritt. Das ist gelungen, weil viele aus der Szene so intensiv und mit guten Argumenten dafür geworben und auch ganz viel Lobbyarbeit gemacht haben.

Jenseits des Materiellen erleben wir ja sehr wohl, dass es momentan gesellschaftliche Kräfte gibt, die eine andere Kulturpolitik wollen, und das sind die Rechten. Die nutzen ganz massiv Kulturpolitik und kulturelle Diskurse, um eine Hegemonie in bestimmten Debatten in unserem Land zu haben. Wenn wir sagen: So stellen wir uns eine offene, freiheitliche und friedlich vielfältig zusammenlebende Gesellschaft vor, dann geht es dabei um die Frage, was Freiheit denn nun genau meint? Ist Freiheit „Das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen, völlig egal, was für Auswirkungen das bei Dritten hat“? Oder ist Freiheit eine soziale Vereinbarung darüber, wie wir miteinander unsere Freiheit in einer Gesellschaft leben?

Wir als Gesellschaft müssen begreifen: Das Feld der Kultur ist ein auch für die Demokratie unglaublich relevantes. Nicht im Sinne der Forderung, die Kultur müsse die Demokratie retten, denn das kann sie nicht. Aber sie öffnet Räume, in denen wir als Gesellschaft selber miteinander klären, wie wir Demokratie leben wollen.

DONIA MÜLLER: Dankeschön, Herr Dr. Brosda.

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